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Pionierarbeit seit 2019

Seit dem Wintersemester 2019 haben Studierende an der Universität Bonn bundesweit erstmalig die Möglichkeit, im Rahmen des Masterstudiums eine zertifizierte Zusatzqualifikation zu erwerben. Das Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie unter Leitung von Prof. Clemens Albrecht und das Bonner evangelische Institut für berufsorientierte Religionspädagogik unter Leitung von Prof. Dr. Michael Meyer-Blanck kreierten für die Fächer Soziologie und Evangelische Theologie aufeinander bezogene Curricula, um interdisziplinär Kompetenzen zum professionellen Umgang mit Erfahrungen von Sterben, Tod und Trauer in der Arbeitswelt zu vermitteln.

Kooperationspartner*innen

Die Kooperation der Institute ermöglicht eine Komplementierung der Ausbildung der Studierenden der jeweils anderen Fakultät: Theolog*innen erhalten Kenntnisse über Strukturen von Organisationen und spezifische Erfordernisse im Umgang mit Trauerfällen in der Arbeitswelt. Studierende des Faches Soziologie wiederum erwerben Kompetenzen bzgl. Reaktionsmöglichkeiten im Trauerfall, sie lernen Formen des Gedenkens, Rituale, Hoffnungsbilder kennen und befassen sich mit Spiritualität und Seelsorge angesichts von kultureller und religiöser Diversität am Arbeitsplatz. Praktika in Unternehmen und Organisationen, die Menschen im Umgang mit Erfahrungen von Sterben, Tod und Trauer professionell unterstützen oder aber Strukturen der Begleitung bereits in den Betrieb implementiert haben, sind Bestandteil der Kompetenzbildung. Folgende Institutionen ermöglichen Studentinnen und Studenten Praktika in unterschiedlichen Arbeitsbereichen: die Evangelische Kirche im Rheinland (EKiR), die Handwerkskammer Koblenz, der Bestatterverband NRW e. V., die Verbraucherinitiative Bestattungskultur Aeternitas e.V. sowie das Unternehmen Pütz-Roth Bestattungen und Trauerbegleitung oHG. Das Projekt leistet Pionierarbeit und erhielt das Branding der Koordinierungsstelle für Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland. Die Stiftung Deutsche Bestattungskultur fördert das Angebot der universitären Zusatzqualifikation finanziell.

Trauer in der Lebenswelt Arbeit

Da am Arbeitsplatz dienstliche Aktivitäten im Zentrum stehen, fällt es häufig besonders schwer, trauernden Menschen angemessen zu begegnen, schließlich gehören Trauer und ihre Ursachen in den Bereich von Privatsphäre und Intimität. Stammen Kolleg*innen, Vorgesetzte und Kund*innen aus unterschiedlichen Kulturen und haben vielfältige religiöse Hintergründe, steigert dies die Verunsicherung. In der Regel ist nicht etwa Gleichgültigkeit der Grund, wenn Vorgesetzte und Kolleg*innen Trauernde nicht ansprechen oder ihnen vielleicht sogar aus dem Weg gehen. Tatsächlich ist es vielmehr die Sorge, das Falsche zu sagen oder zu tun und die trauernde Kollegin oder den trauernden Kollegen zu verletzen. Trauernde Menschen am Arbeitsplatz hingegen belastet vor allem das Nicht-Kommunizieren von Kolleg*innen und Vorgesetzten, wie eine noch nicht publizierte empirische Studie des Instituts für Soziologie der Universität Koblenz-Landau, durchgeführt in den Jahren 2016/17 von Dr. Ursula Engelfried-Rave in Kooperation mit der Handwerkskammer Koblenz, zeigt.

Die prophylaktische Entwicklung von unterstützenden Strukturen in Unternehmen und Organisationen vermag diesem Trauerspiel ein Ende zu setzen.

Mittlerweile ist belegt, dass Krisen in Folge von Verlusterfahrungen Unternehmen und Organisationen wirtschaftlich erheblich beeinträchtigen können, mangelt es an Sensibilität im Umgang mit betroffenen Mitarbeiter*innen, Vorgesetzten oder auch Kund*innen. Das im Jahr 2015 durch den Deutschen Bundestag verabschiedete Präventionsgesetz rekurriert u. a. auf diesen Bereich und fordert und fördert präventives Handeln von Sozialversicherungsträgern, Ländern und Kommunen im Dienste der Gesundheitsförderung.1 Trauerereignisse haben nicht nur Auswirkungen auf das soziale Miteinander in Betrieben und Unternehmen, sondern auch auf deren Produktivität. Insolvenzen aufgrund eines unsachgemäßen Verfahrens im Trauerfall sind nicht selten. Kein Unternehmen kann heutzutage zudem den Verlust von Facharbeiter*innen riskieren, sollten diese sich aus Enttäuschung über unsensibles Auftreten von Kolleg*innen und Vorgesetzten einem anderen Arbeitgeber zuwenden. Es mag zynisch klingen, an dieser Stelle ökonomische Argumente vorzustellen, denn selbstredend sollte vor allem eine Verbesserung der Situation und das Wohl der Betroffenen im Zentrum aller Bemühungen stehen. Da Trauer in der Spätmoderne vielfach in den privaten Bereich abgedrängt wird, soziale und familiäre Bindungen jedoch auch aufgrund hoher zeitlicher Anforderungen durch die Erwerbstätigkeit schwächer werden, bietet vor allem der Arbeitsplatz eine Chance der Begegnung.

Kompetenzerwerb durch den Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen

Das Bonner evangelische Institut für berufsorientierte Religionspädagogik (bibor) weiß aus der Erfahrung des Berufsschulreligionsunterrichts um die Bedeutung z. B. metaphysischer Reflexionen auch im Kontext der Arbeitswelt.2 Die Bedeutsamkeit des Religionsunterrichts an berufsbildenden Schulen wird bei kaum einem Sujet so deutlich wie angesichts der Konfrontation mit existentiellen Verlusterfahrungen. Auszubildende haben eine bedeutsame Schlüsselfunktion und bringen im Religionsunterricht erworbene Kompetenzen in den beruflichen Alltag der Betriebe, Organisationen und Unternehmen ein. In Zeiten von Säkularisierung und Kirchenferne sind vielen Menschen Rituale, Symbolhandlungen und seelsorgliche Begegnungen fremd. Auch hoffnungsvolle und tröstende Metaphern, Verse und Erzählungen, wie beispielsweise Heilige Schriften sie bieten, sind weitgehend unbekannt. Das Wissen um diese über Jahrtausende und Jahrhunderte tradierten potentiellen Hoffnungs- und Kraftquellen nimmt rapide ab.3 Theologie und Religionsunterricht bringen eine spezielle Perspektive in den gesellschaftlichen Diskurs ein, denn ihr Proprium ist das Axiom der Hoffnung. Angesichts der Erfahrung von Endlichkeit laden sie ein zu einem eschatologischen Diskurs, zu einem begründeten und begründbaren Nachdenken über das verstörende und furchterregende Ende des menschlichen Daseins hinaus.4 Das Leid Trauernder anzuerkennen und zu lindern, zählt nach den Überlieferungen der Autoren des Neuen Testaments zu den zentralen Anliegen Jesu von Nazareth. Das Einzigartige der überlieferten Botschaft Jesu war nicht dessen fortschrittliche und couragierte Ethik, es war vor allem das von den biblischen Autoren tradierte geheimnisvolle, tröstliche und hoffnungsfrohe Geschehen der Auferstehung. Passion, Schmerz und Tod haben nach dieser Überlieferung nicht das letzte Wort. Diese Hoffnung vermag im Leben sehr viel zu ändern.

"Trauerbegleitung am Arbeitsplatz" vermittelt Studentinnen und Studenten theoretisch und praktisch Kompetenzen, die langfristig zur Implementierung von Strukturen eines (religions)sensiblen Umgangs mit existentiellen Verlusterfahrungen am Arbeitsplatz beitragen. Das komplexe Phänomen der Trauer erfordert konzertierte Anstrengungen möglichst vielfältiger Partner.5 Das Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie und die Evangelisch Theologische Fakultät der Universität Bonn wagen gemeinsam den Anfang. Weitere Fakultäten und Organisationen sind eingeladen, sich zu beteiligen.

1 https:/ / www.bundesgesundheitsministerium.de/ . ../praeventionsgesetz.html [Zugriff 20.09.19].
2 Vgl. Marose, M. (Hrsg.) (2018): ,Sterben, Tod und Trauer' im Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen (BRU): Kompetenzen für Beruf und Leben, Münster Wa:xmann.
3 Ebd.
4 Ebd.
5 Marose, M. (Hg.) (2019): Trauer am Arbeitsplatz. Unterrichtsbausteine für berufsbildende Schulen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. - Ihre Expertise brachten ein: die Geschäftsführerin einer Handwerkskammer, eine Soziologin, eine islamische Religionspädagogin, ein Rabbiner, die Inhaberin der Landespfarrstelle für Schulseelsorge der EKiR, eine katholische und eine evangelische Religionspädagogin. Das Material erscheint Ende des Jahres 2019.

 

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